„Für mich war der ,Weimarer Bach`, also seine Frühzeit, immer
eines der größten Rätsel und Wunder der Musikgeschichte.“ Nikolaus
Harnoncourt Gründungs-Schirmherr der BACH BIENNALE WEIMAR, 1929-2016)
Dieses Statement trifft den Kern von Bachs Weimarer Jahren. Denn
der junge Weimarer Bach schreibt mit 23 Jahren bereits so perfekt, dass man die
Entstehung von Weimarer Werken oftmals nicht datieren kann. Sie sind
ununterscheidbar von dem, was später kam - nämlich: vollkommene Musik!
Die Weimarer Jahre haben Bach tief geprägt: Hier wurde Bach er
selbst, fand seine einzigartige und unverwechselbare Stimme. Auf das, was er
hier schuf, wird er bis zuletzt bauen.
Wo sind die Ursachen zu suchen für diese außergewöhnliche
Schaffensphase? Gewiss ist, dass Bach in Weimar italienische Musik in großem
Umfang kennen lernte und studierte –
Werke von Vivaldi, Corelli, Legrenzi, Pergolesi und anderen. Bach
saugte diese Musik in sich auf, und „sprach“, komponierte von da an perfekt „italienisch“.
Sein immenses und überbordendes Talent suchte sich zudem genügend
Freiräume, um in allen Richtungen zu experimentieren. So sind seine Weimarer Jahre
und die hier entstandenen Werke wie der Ausbruch einer „musikalischen
Sturzquelle“ von elementarer, ungebändigter Fülle. Hinsichtlich exzessiver instrumentaler
Virtuosität, experimenteller Instrumenten-Kombinationen, schockierender
Modernität und höchster Abstraktion ist dieser „junge Wilde“, der Weimarer Bach
beispiellos!
In Weimar entstand ein großer Teil des „Universums“ seines Orgelwerkes,
über 35 bildhafte, vielgestaltige und wunderschöne Kantaten, zahlreiche Cembalo
Solowerke, die an Kühnheit ihresgleichen suchen, einige Concerti aus dem
singulären „Kosmos“ der „Brandenburgischen Konzerte“ sowie Teile seiner
epochemachenden Solopartiten für Violine und mindestens der erste Teil des
„Wohltemperierten Claviers“; die beiden letzteren sind bis heute eine Art
„Grammatik“ für Violine bzw. Tasteninstrumente, zugleich unerreicht an
kristalliner Architektur wie emotionaler Tiefe.
Als Bach Weimar verließ, war er kaum jünger als Mozart bei dessen
Tod. Weimar ist daher in gleichem Ausmaß und Gewicht eine Bachstadt, wie
Salzburg und Wien Mozartstädte sind. Im Unterschied zu Salzburg oder Wien trägt
Weimar diesen Rang bislang nicht mit derselben Selbstverständlichkeit - und nicht
mit dem gleichen Stolz. Hier ist noch Luft nach oben …
Es ist nunmehr an der Zeit, die Weimarer Jahre Bachs als das zu
erkennen und zu zeigen, was sie sind: Eine schöpferische Eruption – machtvoll,
frei, unangepasst, und bis heute unübertroffen.
Auch nicht von Bach selbst.